-Eine junge Religionslehrerin bloggt über Schule, ihre Familie und ihren Glauben-

Wir unterrichten Religion – Interview mit Frau Jo.

Das ist mein erstes Interview zu meiner Interviewreihe „Wir unterrichten Religion“. Mit meinem Blog möchte ich unter anderem den Religionsunterricht transparenter und zugänglicher machen. Oft begegne ich nämlich Menschen, die eine falsche oder keine Vorstellung von modernem Religionsunterricht haben. Mit meiner Interviewreihe möchte ich Religionslehrer*innen vorstellen und dadurch den Religionsunterricht in all seinen Unterschieden, Facetten und seiner Aktualität präsentieren.

Ich habe Frau Jo. interviewt. Sie unterrichtet evangelische Religion in Niedersachsen an einer Oberschule in den Klassenstufen 5 bis 10.

Hallo Frau Jo. Seit wann unterrichtest du evangelische Religion?
„Ich unterrichte seit 2016 und seit 2018 Religion.“
Wie und warum bist du Religionslehrer*in geworden?
„In einer Welt, in der immer mehr das Unglück und Leid in den Vordergrund gedrängt wird und junge Menschen ohne Zugang zur Religion groß werden, steht der Religionsunterricht immer mehr in der Verantwortung jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, Gemeinschaft und das Gefühl von Zusammenhalt erfahren zu lassen. Meiner Meinung nach fühlen sich viele junge Menschen allein gelassen und verlieren sich in der Suche nach Sinn oder der Berechtigung des Seins, obwohl sie gewollt und unglaublich wichtig und geliebt sind. Ich möchte ihnen durch meinen Unterricht das Gefühl vermitteln, dass sie gewollt und wichtig sind. Ich habe mich ganz klassisch an der Universität für das Fach Ev. Religion eingeschrieben und studiert. Ich habe während meines Studiums das Glück gehabt, dass ich als Vertretungslehrerin arbeiten durfte, leider boten viele Schulen das Fach Religion nur wenig an, deswegen konnte ich erst im Referendariat Religion unterrichten, schon allein das empfinde ich als traurig, denn Religion ist weder starr noch tot.“
Wie wird der RU an deiner Schule angenommen? Wie ist er im Schulalltag eingebettet?
„Religion ist an meiner jetzigen Schule gut eingebettet und wird stark von Schüler*innen gewählt. Es wird durchgehend unterrichtet und wir planen sogar jedes Jahr einen Einschulungsgottesdienst. Oft sind aber Schüler*innen im Unterricht, die erst durch uns Religionslehrer*innen von Gott und Jesus hören und viele Fragen formulieren.“


Welche Unterrichtsstunde ist dir besonders im Gedächtnis geblieben? Und warum?

„Das ist tatsächlich eine schwere Frage, da ich noch garnicht so viel Unterrichtserfahrung habe und jede Unterrichtsstunde besonders aufregend ist, doch ich denke, dass mir besonders die Unterrichtsstunde zu den Werken der Barmherzigkeit in einer 8. Klasse in Erinnerung geblieben ist, da meine Schüler*innen sehr viele lebensnahe und umsetzbare Möglichkeiten genannt haben, die Werke der Barmherzigkeit auszuüben und ich jeden Tag beobachten kann, wie sehr sie daran arbeiten neue Schüler*innen aufzunehmen und freundlich und umsichtig mit anderen Menschen umzugehen und diese Unterrichtsstunde nicht nur mich, sondern auch sie tief berührt hat“

Auch wir Lehrer*innen machen mal Fehler und manchmal geht trotz Vorbereitung etwas schief. Wie bist du schon mal grandios gescheitert?
„Ich habe mit einer neunten Klasse das Thema „Erinnerung an den Holocaust“ bearbeitet und musste feststellen, dass viele Schüler*innen es völlig in Ordnung fänden, wenn dieses Thema weniger behandelt werden würde und sie keine Verbindung zur heutigen Gesellschaft finden konnten. Dies hatte mich überrascht. In einer anschließenden Stunde habe ich die Schüler*innen recherchieren lassen und es wurden doch noch einige Verbindungen zur heutigen Zeit gefunden und die Bedeutung der Erinnerung wurde herausgestellt. Dennoch war ich anfangs erschrocken über die Reaktionen und auch enttäuscht, wie egal es vielen Schülerinnen und Schülern ist, wie es anderen Menschen geht.“

Was war der bisher lustigster Schüler*innenkommentar?
„In einer Klassenarbeit zu der Geschichte von Mose und den 10 Geboten: ‚Du sollst keine Zeugnisse fälschen‘.“

Welches Thema unterrichtest du gerne? Und gibt es ein Thema/ eine Geschichte, die du nicht gerne unterrichtest?
„Ich unterrichte sehr gerne Wunder und Gleichnisse und beziehe diese auf die Lebenswelt der Schüler*innen. Natürlich passt nicht alles zu jedem Schüler oder jeder Schülerin, doch es lässt sich häufig eine Verbindung, mag sie noch so klein sein, finden, schwer fallen mir ethische Themen wie „Euthanasie“, „Drogen“ oder ähnliches. Die Themen sind sehr ethisch und bereiten mir schon in der Vorbereitung oft Unbehagen, obwohl sie sicherlich für viele Schüler*innen spannend sind.“

Von wem würdest du gerne mal in Religion unterrichtet werden? „Ich habe einen Kollegen, der unglaublich tolle Religionsstunden zeigt und bei dem ich gerne Schülerin gewesen wäre und darüber hinaus würde mich eine Unterrichtsstunde bei Petra Freudenberger-Lötz reizen. Wenn tote Personen auch gingen, wäre ich gerne Schülerin von Dietrich Bonhoeffer.“

Möchtest du zum Ende noch etwas sagen?
„Religion und Religionsunterricht ist mehr als eine „Füll- oder Laberstunde“. Es ist ein vollwertiges Unterrichtsfach und sollte auch dem entsprechend unterrichtet und vorbereitet werden. Religion gibt keine vollständige Antwort zur Entstehung der Welt, zur Entwicklung des Menschen oder weiteren Themen, die eine fertige Antwort verlangen, aber diesen Anspruch hat Religion auch nicht. Religion, bietet Gemeinschaft, Zusammenhalt und Antworten auf die Fragen, welche Aufgabe ich als Mensch habe, wie ich zu den anderen und Gott stehe und Religion zeigt, dass jeder Mensch ein Recht hat hier zu sein und geliebt zu werden. Religion kann viele Fragen und noch mehr Antworten bieten und das ist großartig.“

Vielen Dank Frau Jo.!