„Liebe Eltern, ich schreibe Ihnen, weil….“
Nun sitze ich hier und schreibe schon den zweiten Elternbrief, dieses Mal für die neuen 6.Klassen. Jedes Jahr schreibe ich zum Ende des Schuljahres Elternbriefe, in denen ich das Fach Evangelische Religion vorstelle. Entweder weil es neue Schüler*innen oder Klassen an der Schule gibt oder weil ich an eine neue Schule komme. Und so ist es diese Jahr. Ich werde nach den Sommerferien an eine neue Grundschule kommen. Dort gab seit vielen Jahren keinen Religionsunterricht. Also schreibe ich an die Eltern Briefe, um mich und das neue Fach vorzustellen.
Jedes Jahr aber, beim Schreiben der Elternbriefe, kommt in mir die gleiche Frage hoch: Wie kann ich über den Evangelischen Religionsunterricht informieren und ihn vorstellen, ohne die Eltern oder Schüler*innen zur Teilnahme zu „drängen“ oder zu „überreden“?
Auf den ersten Blick wirkt meine Frage für einige vielleicht nicht wie ein Problem. Dafür hole ich etwas weiter aus:
Der Evangelische Religionsunterricht in Brandenburg
In Brandenburg ist der RU von Klasse 1 bis 4 ein freiwilliges, zusätzliches Angebot zum regulären Schulunterricht. Die Kinder können also, wenn sie Interesse haben, am RU teilnehmen. Dann wird ihre Leistung auch benotet und erscheint auf dem Zeugnis. Von Klasse 5 bis 10 ist der RU eine Alternative zu L-E-R (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde). L-E-R ist ordentliches Lehrfach in Brandenburg. Möchten Schüler*innen am RU teilnehmen sind sie vom L-E-R Unterricht befreit. Meistens liegen L-E-R und RU aus organisatorischen Gründen parallel. RU wird benotet und erscheint auf dem Zeugnis (allerdings ist RU nicht versetzungsrelevant).
Laut Schulgesetz benötige ich pro Religionsgruppe mindestens 6 Schüler*innen die teilnehmen. Sonst kann der Kurs nicht stattfinden. Ich muss also Schüler*innen für meinen Unterricht „aquirieren“, denn die Anzahl der Kurse die ich gebe, hängen mit meiner Arbeitszeit und folglich auch mit meinem Gehalt zusammen. Ich brauche also möglichst viele Kurse, um meinen vollen Stellenumfang zu erfüllen. Eine unschöne Kombination. Und der Druck sitzt jedes neue Schuljahr spürbar in meinem Nacken. Werde ich es dieses Jahr schaffen, genügend Teilnehmende zu finden?
Mir bleibt erst einmal nichts anderes übrig als Werbung für mein Fach zu machen. Denn irgendwie muss ich die Schüler*innen ja über das Fach informieren. Aber wie, dass ist meine Frage jedes Jahr, kann ich werben ohne zu drängen, ohne zu überreden? Wie kann ich fair bleiben gegenüber dem Fach L-E-R? Mich nicht besser darstellen oder „verkaufen“?
Natürlich möchte ich beschreiben, welche Themen, Aktionen und Projekte ich mir für das kommende Schuljahr überlegt habe. Aber fair und ehrlich zu sein, L-E-R nicht in den Schatten zu stellen, nicht zu übertreiben, nicht zu untertreiben, nicht zu „missionieren“, nicht zu viel oder zu wenig Religion einfließen zu lassen, freundlich, engagiert und kompetent zu wirken und dann noch „erfolgreich zu werben“ ist immer wieder eine Herausforderung.
Irgendwie klappt es dann doch immer. Irgendwie kommen die Kurse dann doch zustande. Mal mit Ach und Krach, mal so überfüllt, dass gleich zwei Kurse aus einem werden. Woran es letztendlich liegt, dass weiß ich nicht. Ich habe schon Situationen erlebt, in denen Eltern nicht einmal den Elternbrief in die Hand nehmen wollten, da sie befürchteten, dadurch plötzlich Kirchensteuer zahlen zu müssen. Auch habe ich Momente erlebt, in denen sich Kinder für Religion angemeldet haben, bevor sie überhaupt mich und das Fach kennen gelernt haben. Es ist eben nicht immer die Religionslehrkraft für An- und Abmeldungen verantwortlich. Was passiert aber, wenn ich es dieses Jahr nicht schaffe alle Kurse zu füllen? Und ich somit zwangsläufig weniger Stunden arbeite?
Tatsächlich ist es so, dass ich dann als Vertretungslehrerin an anderen Schulen eingesetzt werden würde. Das ist natürlich ärgerlich und zusätzlicher Stress. Denn eigentlich ist ja ein bestimmter Stellenumfang für eine bestimmte Schule festgelegt worden. Aber wie, und das ist nachvollziehbar, soll denn mein Arbeitgeber für volle Kurse sorgen? Es ist eine schwierige Situation.
Ich persönlich wünsche mir jedes Jahr, dass ich das Fach Evangelische Religion vorstellen kann, ohne den Druck im Hintergrund zu spüren. Dass ich Elternbriefe schreiben und an Elternabenden teilnehmen kann, ohne das Gefühl zu haben, möglichst viele neue Schüler*innen akquirieren zu müssen. Denn irgendwie schwingt das bei jeder Unterhaltung und jedem Vorstellen mit. Das spüren auch die Schüler*innen, ihre Eltern und die anderen Lehrkräfte. Und ich komme mir vor wie eine Staubsaugervertreterin, nur mit Bibel in der Hand.
Was soll ich tun?
Solange sich strukturell an dieser Situation nichts ändert, versuche ich offen und ehrlich damit umzugehen. Ich denke es ist wichtig, diese Problematik immer wieder deutlich auf Leitungsebene anzusprechen und sich in wirklich schwierigen Situationen an die Mitarbeiter*innen-Vertretung oder Gewerkschaft zu wenden. Gegenüber den Schüler*innen und ihren Eltern äußere ich mich offen in Elternbriefe und auf Elternabenden, um die Strukturen dahinter transparent zu machen. Was macht ihr? Wie geht ihr mit dieser Situation um?
Also, ich setzte mich nun wieder an den Schreibtisch und versuche den Elternbrief zu Ende zu bringen. „Liebe Eltern, ich schreibe Ihnen, weil…“.