-Eine junge Religionslehrerin bloggt über Schule, ihre Familie und ihren Glauben-

Wir unterrichten Religion – Interview mit Tobias Strienz

Ich freue mich euch heute das zweite Interview meiner Interviewreihe „Wir unterrichten Religion“ vorstellen zu können. Mit meinem Blog möchte ich unter anderem den Religionsunterricht transparenter und zugänglicher machen. Oft begegne ich Menschen, die keine Vorstellung von modernem Religionsunterricht haben. Mit meiner Interviewreihe möchte ich Religionslehrer*innen vorstellen und dadurch den Religionsunterricht in all seinen Unterschieden, Facetten und seiner Aktualität präsentieren.

Ich habe Tobias Strienz interviewt. Er unterrichtet evangelische Religion und das Fach Ethik in Kooperation (Kooperation der evangelischen Kirche mit dem Senat Berlin im Fach Ethik) in den Klassen 7 bis 10 in Berlin-Spandau.

Tobias Strienz

Hallo Tobias Strienz. Seit wann unterrichtest du evangelische Religion?
Ich unterrichte seit 2010.

Wie und warum bist du Religionslehrer*in geworden?
Ursprünglich komme ich aus einer mittelfränkischen Stadt in Bayern. Dort hat der Religionsunterricht an Schulen und die Kirche als Arbeitgeber einen anderen Stellenwert als hier in Berlin. Ich hatte während meiner Schulzeit durchgängig Religionsunterricht und meistens waren es die Religionslehrer*innen, die durch guten Religionsunterricht unser Schulleben bereichert haben.
Nach dem Abitur wollte ich Pädagogik studieren und schwankte zwischen Religionspädagogik und Sozialpädagogik. Da die evangelische Kirche Träger von vielen Jugendeinrichtungen ist und man deshalb als Religionspädagog*in (in einigen Regionen Deutschlands) ein breiteres Arbeitsangebot hat, entschied ich mich für Religionspädagogik. An der Evangelischen Hochschule Berlin fand ich dann den perfekten Studiengang, den 8-semestrigen Diplom-Studiengang „Religionspädagogik mit Schwerpunkt Religionsunterricht“ mit der anschließenden Option in einem 3-semestrigen Ergänzungsstudium ein Diplom in Sozialpädagogik/Soziale Arbeit zu erwerben. Dadurch konnte ich mich breitgefächert qualifizieren.
Religionslehrer wurde ich, da ich während meines Ergänzungsstudiums schon mit einer 50 %-Anstellung RU gegeben habe. Mir machte die Arbeit an der Schule so viel Spaß, dass ich nach meinem Sozialpädagogik-Diplom nicht gewechselt bin, sondern auf 100 % als Religionslehrer aufgestockt habe.

Wie wird der RU an deiner Schule angenommen? Wie ist er im Schulalltag eingebettet?
An meiner Schule wird der Religionsunterricht gut angenommen. Es gibt drei Lehrkräfte für evangelische und einen Kollegen für katholische Religion. Dennoch unterrichten wir einen Großteil unseres Deputats in der Ethik-Kooperation.
Da der Religionsunterricht in Berlin freiwillig ist und nicht wie in anderen Bundesländern anstatt Ethik (oder eines anderen Ersatzfaches) gewählt werden kann, haben die Nicht-Teilnehmer*innen in dieser Zeit frei. Deshalb findet der Religionsunterricht an unserer Schule fast nur in den Randstunden statt, was zu häufigen Abmeldungen führt. Im letzten Schuljahr hatte ich in einer 7 Klasse eine Lerngruppe von 17 Schüler*innen, welche Religionsunterricht freitags in der 7. Stunde hatten. Als sie dieses Schuljahr laut Stundenplan freitags in der 8. Stunde haben sollten, obwohl sie nach der 5. Stunde frei hätten, meldete sich ein Großteil der Lerngruppe ab. Ich konnte die restlichen Schüler*innen halten, indem ich ihnen angeboten habe den Religionsunterricht am Dienstag in ihrem Mittagsband (eine Stunde Mittagspause in welchem die Mitschüler*innen frei hatten) zu legen. Dies bedeutete jedoch, dass die 13 -14-jährigen Schüler*innen von 8-16 Uhr durchgängig Unterricht hatten. In Klassen, welche in der ersten Stunde Religionsunterricht haben, melden sich einige Schüler*innen ab, da sie lieber ausschlafen wollen.

Welche Unterrichtsstunde ist dir besonders im Gedächtnis geblieben? Und warum?
In meinen ersten 5 Jahren als Religionslehrer unterrichtete ich noch einen Tag in der Woche an einer Waldorfschule. Dort unterrichtete ich in einer dritten Klasse eine Einheit zum Thema „Abraham“. In einer Unterrichtsstunde mit dem Titel „Das Leben als Nomadenvolk und die Gefahren auf ihren Wanderungen“ gingen wir auf den Pausenhof/kleinen Park hinter der Schule und wir spielten die Wanderungen nach. Wir sammelten Holz für eine Brücke (der „reißende“ Fluss war ein 50 cm breiter Bach) oder suchten nach „im Notfall“ essbaren Beeren oder Blättern. Ich erinnere mich noch so gut an die Stunde, da wirklich alle Schüler*innen mit leuchtenden Augen mitgemacht haben und Spaß am Lernen gezeigt haben.

PS: Möglicherweise habe ich auch den Esel und die zwei Ziegen der Schule in unsere Wanderung mit eingebunden. Danach gab es an der Schule nochmal eine allgemeine Erinnerung, dass man keine Schüler*innen auf dem Esel reiten lassen darf und die Ziegen auch nicht mit Leinen über den Schulhof geführt werden dürfen. 😉 #jungerLehrerwillkreativenUnterricht

Auch wir Lehrer*innen machen mal Fehler und manchmal geht trotz Vorbereitung etwas schief. Wie bist du schon mal grandios gescheitert?
Wirklich gescheitert bin ich noch nicht. Aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde mir sind nicht schon einige Stunden misslungen. Gerade an einer Sekundarschule ist es schwierig, Stunden zu planen, die für die leistungsstarken Schüler*innen nicht zu einfach und für die schwächeren Schüler*innen nicht zu überfordernd sind. Auch kommt es vor, dass man viel in die Vorbereitung einer Stunde investiert und im Unterricht bemerkt, dass es die Schüler*innen nicht wirklich zu einer Begeisterung führt. Wenn ich eine Unterrichtsstunde, die „schiefgelaufen“ ist, nennen müsste, wäre es eine Ethikstunde in einer 8 Jahrgangsstufe. Oft habe ich drei bis vier Klassen eines Jahrgangs, jedoch unterrichte ich oft nicht in allen Klassen das gleiche Thema parallel, um nicht viermal am Tag die gleiche Stunde zu halten. Ich hatte in der 8/4 das Thema „Kinderarbeit“, in der 8/5 das Thema „Judentum“. An einem Tag habe ich die beiden Klassen in der Unterrichtsplanung vertauscht und in der 8/5 anstatt Judentum angefangen eine Unterrichtsstunde über Kinderarbeit zu unterrichten. Erst nach 20 Minuten fragte ein Schüler was den das ganze mit Judentum zu tun hätte…

Was war der bisher beste Kommentar deiner Schüler*innen im Unterricht?
Die Klasse hatte als Hausaufgabe auf ihren Test zu verbessern. Ein Schüler mit der Note 6 strich die „6“ durch und schrieb mit rot eine „4“ daneben. Er meinte: „4 ist doch besser als 6 … also habe ich doch meine Arbeit verbessert“.

Welches Thema unterrichtest du gerne? Und gibt es ein Thema/ eine Geschichte, die du nicht gerne unterrichtest?
Da der Religionsunterricht in Berlin nur einstündig ist und freiwillig, ist die Einhaltung des Lehrplans und gleichzeitig der Austausch mit den Schüler*innen ein ambitioniertes Projekt. Deswegen muss ich auch Themen gelegentlich aus Zeitgründen weglassen. Mir würde aber auch kein Thema einfallen, welches ich bewusst ungern unterrichte. Was ich gelegentlich unauthentisch finde, ist es Themen wie Umweltschutz, Fast-Fashion oder Massentierhaltung zu unterrichten, da ich es nicht vorbildhaft vorlebe. Die Schüler sehen, dass ich im Winter anstatt mit dem Fahrrad mit dem Auto zur Schule komme, ein Adidas-Shirt trage und in der Pause am Kiosk ein Wurstbrötchen esse. Da fühle ich mich ab und zu als ob ich Wasser predigen würde und Wein trinken. Wenigstens habe ich vor 3 Monaten geschafft mit dem Rauchen in der Schule aufzuhören.

Von wem würdest du gerne mal in Religion unterrichtet werden?
Ich glaube Jesus könnte mir einige Dinge erklären. Sonst gibt es einige mit den ich mich gerne mal über Religion unterhalten würde, wie ein paar meiner alten Religionslehrer*innen, Anselm Grün, Dirk Nowitzki, Papst Franziskus oder Greg Graffin (Sänger der Band „Bad Religion“, Atheist).

Das möchte ich noch zum Ende sagen:
Werdet Religionslehrer*innen, denn wir werden mehr den je in den Schulen gebraucht. Der Religionsunterricht steht zwar immer wieder in der Kritik und wird infrage gestellt, aber ich stelle immer wieder fest, dass viele ehemalige Schüler*innen sagen, dass die eine Stunde Religionsunterricht in der Woche ihnen gut getan hat. Wahrscheinlich müssen wir den Religionsunterricht reformieren (gerade die steigende Präsenz in den Social Media-Angeboten ist meiner Meinung nach ein guter Weg), um zeitgemäß zu sein. Weg von weltfremden Religionslehrer*innen, hin zu Religionslehrer*innen, die den Schüler*innen eine Stütze in ihrem Schulleben sind. Mithilfe des Religionsunterrichtes kann, durch ein religiös-spirituelles Weltbild, ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit angesichts einer unvorhersehbaren Zukunft, vermittelt werden.

Danke für das Interview Tobias Strienz!